Welche Bedeutung hat Europa heute und in Zukunft?

Artikel des Gießener Anzeigers:

"Bildungsstaatssekretär Dr. Manuel Lösel diskutiert mit Schülern des Politik- und Wirtschaftskurses der Herderschule über Europa.

Es war ein Bild, das Staatssekretär für Kultus, Bildung und Chancen, Dr. Manuel Lösel, zunächst negativ überrascht haben dürfte. Auf seine Frage, inwieweit die Schüler des Politik- und Wirtschaftskurses, den er am Donnerstagmorgen in der Herderschule besuchte, in ihrem Alltag merkten, dass sie Europäer seien und ob sie Vorteile darin sähen, zeigten fast alle Daumen nach unten.

»Europa fühlt sich manchmal ganz schön weit weg an«, räumte Lösel ein. »Eigentlich ist es uns aber sehr nah. Allein örtlich: Von hier aus bist du schneller in Brüssel, als in Berlin.« Doch was bedeutet es eigentlich konkret, Europäer zu sein? Welche Bedeutung hat Europa heute und in Zukunft? Diese und andere Fragen diskutierte Lösel, der vor seiner Arbeit als Bildungsstaatssekretär lange selbst als Lehrer tätig war und sich in seiner Rolle sichtlich wohlfühlte, mit den Zehntklässlern.

»Wenn ich die Nachrichten sehe, dann kann ich manchmal gar nicht glauben, dass wirklich Krieg in der Ukraine ist«, antwortete ein Schüler auf Lösels Frage, was für ihn und seine Mitschüler ein wichtiges Zukunftsthema sei. »Mein Nummer-eins-Wunsch ist deshalb, dass die Menschen in Frieden miteinander leben.«

Aufbau der EU war »harte Arbeit«

Sein Sitznachbar schloss sich an: »Ich wünsche mir eine Zukunft, in der ich und meine Kinder ein Leben in Sicherheit und Frieden leben können.«

Diesen bewegenden Wünschen der jungen Menschen begegnete Lösel mit dem Friedensaspekt der EU: »Ihr könnt heute studieren und arbeiten, wo ihr möchtet. Das war nicht immer so. Europa lag nach dem Zweiten Weltkrieg in Trümmern. Deutschland war aus der Staatengemeinschaft isoliert. Das war harte Arbeit«, erinnert Lösel an die frühen Anfänge der sich formierenden Europäischen Gemeinschaft in den späten 1940er und 1950er Jahren.

»Wer war denn von euch schon mal mit der Schule im Ausland?« Reihenweise Hände gingen bei dieser Frage in der Weststadt nach oben. Begeistert berichteten die Schüler über Schüleraustausche nach England, Spanien und Frankreich. »Nutzt diese Chance! Ich war selbst in der Schulzeit nie im Ausland und ich bereue es zutiefst«, verriet Lösel. Als er dann »als junger Mann« durch Europa reiste, erzählte er weiter, habe er an den Grenzen seinen Pass vorzeigen müssen. »Das kann man sich heute Dank des Schengener Abkommens gar nicht mehr vorstellen.«

Auch in der Zukunft können sich die jungen Menschen vorstellen, komplett oder eine Weile lang im europäischen Ausland zu studieren oder zu arbeiten. »Einen konkreten Plan habe ich noch nicht. Aber dass es die Möglichkeit gibt, finde ich schön.« sagte eine Schülerin.

Auch das Wahlalter mit 16 Jahren stand als Diskussionsthema auf der Agenda. »Es gibt viele, die nicht gut genug informiert sind und aus einer Laune heraus eine schlechte Entscheidung treffen«, gab ein Schüler zu bedenken.

»Es geht ja auch um unsere Zukunft«

»Ich finde, man sollte das Risiko trotzdem eingehen«, entgegnete ein anderer. »Es geht ja auch um unsere Zukunft.«

Im Umgang mit anderen Parteien und Influencern riet Lösel den Schülern, gründlich zu hinterfragen: »Hinterfragt die Dinge und überprüft immer die Qullen. Ihr habt eine Schule mit Lehrern, mit denen man jederzeit reden kann. Nutzt das.« Besonders vor der Wahl sei es ratsam, die Wahlprogramme genau zu lesen und Politiker bei Wahlveranstaltungen anzusprechen oder auch in die Schulen einzuladen.

»Nutzt auch die Möglichkeiten, den Menschen, die sagen, die EU sei unnütz oder schlimm, entgegenzuhalten, was für Chancen und Möglichkeiten wir dadurch haben. Ihr seid die, die Europa stark machen und für Europa werben«, so Lösel."

Text: Gießener Anzeiger, Ruth Korte

https://www.giessener-anzeiger.de/stadt-giessen/bewegende-wuensche-92879917.html

Fotos: Volker Kusterer